12 Punkte im Krieg für den Frieden
Der Nationalrat behandelt heute eine Motion seiner Sicherheitspolitischen Kommission zur Erhöhung der Militärausgaben. Für Alliance Sud ist das die falsche Antwort auf die falsche Frage: Nicht die territoriale Sicherheit der Schweiz ist bedroht, sondern die menschliche Sicherheit auf der ganzen Welt. Und diese erfordert eine umfassende Friedenspolitik anstatt einer unsinnigen Aufrüstungsdebatte.
Schon kurz nach der russischen Invasion in der Ukraine hatten bürgerliche PolitikerInnen zwei zusätzliche Milliarden Franken pro Jahr für die Armee gefordert. Viel Geld, vor allem wenn man es mit den bisher vom Bund zusätzlich bereitgestellten 53 Millionen für die humanitäre Hilfe der Schweiz in der Ukraine vergleicht. Und schlecht investiertes Geld, wenn man die Nutzlosigkeit der Schweizer Armee bei den verheerenden globalen Folgen des Krieges vor Augen hat.
Die vorliegende Stellungnahme von Alliance Sud – dem Schweizer Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik – skizziert die wichtigsten 12 Punkte für eine umfassende Friedenspolitik der Schweiz: Eine wirksame internationale Zusammenarbeit, ein gerechtes Wirtschaftssystem und eine starke Demokratie sind grundlegende Voraussetzungen für die menschliche Sicherheit auf der ganzen Welt.
Internationale Zusammenarbeit und Solidarität fördern Sicherheit
1. Willkommenskultur für alle Kriegsflüchtlinge: Die Schweiz hat Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen und ihnen einen menschenwürdigen rechtlichen Status gegeben. Menschen, die nach einem Ende der Kampfhandlungen nicht in ihre zerstörten Dörfer und Städte zurückkehren können, müssen bleiben können. Ehemänner und Väter sollen nachkommen können, wenn sie wieder ausreisen dürfen. Die menschenwürdige Behandlung der Ukraine-Flüchtlinge steht im krassen Gegensatz zur Asylpolitik der Schweiz, es braucht eine Gleichbehandlung aller Kriegsflüchtlinge.
2. Investitionen in menschliche Sicherheit: Für die Förderung der menschlichen Sicherheit sind zusätzliche Investitionen in die humanitäre Hilfe und die langfristige Entwicklungszusammenarbeit dringend nötig. Alliance Sud fordert eine Aufstockung des Budgets der internationalen Zusammenarbeit (IZA) um 1.3 Milliarden Franken, um dem UNO-Ziel von 0.7% des Bruttonationaleinkommens endlich gerecht zu werden.
3. Bekämpfung der globalen Ernährungskrise: Ein Teil der zusätzlich gesprochenen IZA-Gelder muss zwingend für die Bekämpfung der globalen Ernährungskrise eingesetzt werden. Diese können über das World Food Programme, andere UN-Organisationen oder das IKRK eingesetzt werden. Zentral dabei ist die Unterstützung der Ärmsten und Bedürftigsten, ohne die lokalen Märkte und ProduzentInnen zu gefährden.
Ein gerechtes globales Wirtschaftssystem fördert Sicherheit
4. Komplizenschaft beenden: Regulierung und Aufsicht müssen verhindern, dass Banken und Rohstoffhandelsfirmen mit autoritären Regimen – nicht nur in Russland – kooperieren und diese auf Kosten ihrer Bevölkerung stärken. Die Schweiz muss weiterhin alle UNO- und EU-Sanktionen gegen Russland übernehmen und endlich dafür sorgen, dass möglichst alle russischen Oligarchengelder auf dem Schweizer Finanzplatz tatsächlich eingefroren werden. Sie muss sich international dafür einsetzen, dass die Sanktionen die Verantwortlichen treffen und keine unnötigen Aus-wirkungen auf die Bevölkerung haben.
5. Entschuldung unterstützen: Die Schweiz bzw. die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat beim Internationalen Währungsfonds (IWF) aktuell Sonderziehungsrechte im Wert von 15 Milliarden Franken zugute. Aufgrund der – trotz Corona-Krise – nach wie vor hervorragenden finanziellen Lage des Bundes gibt es für diesen keinen Grund, die finanzielle Liquidität für den eigenen Staatshaushalt zu beanspruchen. Der Bund muss damit vielmehr Entwicklungsländer unterstützen, deren Staatsverschuldung in den letzten Jahren untragbar geworden ist.
6. Schuldenbremse lösen: Die Schweiz weist im internationalen Vergleich auch post Corona eine beinahe einzigartig tiefe Staatsverschuldung auf. Trotzdem muss sie wegen der Schuldenbremse sämtliche Budgetüberschüsse, die sie seit mehr als einem Jahrzehnt jedes Jahr macht, in den Schuldenabbau stecken. Die Schweiz könnte 200 Milliarden Franken an neuen Schulden aufnehmen und hätte erst das prozentuale Verschuldungsniveau Deutschlands erreicht – einer der fiskalpolitischen Musterschüler in der EU. In Zeiten multipler Krisen, die ausserordentliche öffentliche Investitionen in die Sicherheit und Gesundheit der Menschen und für den notwendigen ökologisch-sozialen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft nötig machen, ist eine Schuldenbremse, die dies rein technisch verhindert, nicht mehr zeitgemäss.
7. Transparentes und gerechteres Steuer- und Finanzsystem: Die Verschleppung der Durchsetzung der Sanktionen gegen russische Oligarchen durch den Bund zeigt es: In Sachen Sauberkeit und Fairness liegt auf dem Schweizer Finanzplatz immer noch einiges im Argen. Zudem behindert die Schweiz mit ihrer Tiefsteuerpolitik für multinationale Konzerne die nachhaltige Entwicklung in armen Ländern des Südens und verschärft damit deren wegen Pandemie und Krieg bereits dramatische Lage zusätzlich. Die Einnahmen aus der neuen OECD-Mindeststeuer, die die Schweiz zum Teil aus Konzern-Gewinnen ziehen wird, die in diesen Ländern generiert werden, müssen deshalb diesen Ländern zurückgezahlt werden.
8. Unternehmensverantwortung: Die Schweiz muss eine gesetzliche Grundlage schaffen, die es ihr ermöglicht, eine Aussenwirtschaftspolitik zu betreiben, die mit ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen im Einklang steht. Dazu muss das Bundesgesetz über aussenwirtschaftliche Massnahmen überarbeitet werden. Ausserdem muss die Schweiz ein Konzernverantwortungsgesetz verabschieden, das Konzernen eine Sorgfaltspflicht in Bezug auf Menschenrechte und Umweltschutz auferlegt.
9. Klimaverantwortung wahrnehmen: Wir wissen, dass nur mit einem raschen Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen der Klimawandel gebremst werden kann. Die Abhängigkeit von Russland zu beenden, ist nur ein weiteres Argument dafür, dass es jetzt massive Investitionen braucht, um unser Produktions-, Transport- und Konsummodell radikal umzubauen. Gemäss ihrer historischen Verantwortung, ihrem globalen CO2-Fussabdruck und ihren Möglichkeiten müsste die Schweiz ein Prozent zur globalen Klimafinanzierung beitragen. Es braucht eine Milliarde Franken zusätzlich zum IZA-Budget, um Menschen im globalen Süden zu helfen, sich an ein verändertes Klima anzupassen und Klimakriege zu verhindern.
Demokratie fördert Sicherheit
10. Völkerrecht stärken: Der russische Einmarsch in die Ukraine stellt eine eklatante Verletzung des Völkerrechts dar und muss mit allen rechtlichen Mitteln untersucht und geahndet werden. Die Schweiz muss kompromisslos auf der Seite des Völkerrechts stehen und sich für eine Demokratisierung der UNO einsetzen. Als Depositarstaat der Genfer Konventionen von 1949 und ihrer Zusatzprotokolle von 1977 hat die Schweiz eine besondere Verantwortung und eine etablierte Praxis bei der Stärkung des Völkerrechts und seiner Anwendung in bewaffneten Konflikten. Die Schweiz sollte ihrer Stimme mehr Gehör verschaffen.
11. Demokratie schützen und fördern: Die Schweizer Aussenpolitik muss ihre aussenwirtschaftspolitischen Interessen in Einklang mit ihrem Engagement für den Schutz der Menschenrechte bringen. Die Schweizer Aussenwirtschaftspolitik muss die Schaffung von offenen und demokratischen Gesellschaften, die auf den Grundsätzen von Freiheit, Gleichheit und Solidarität aufbauen, fördern und nicht mehr behindern, wie das bis in die jüngste Vergangenheit allzu oft der Fall war. Ansonsten macht sie sich – wie bis vor wenigen Monaten auch im Falle Russlands – immer wieder zur wohlfeilen Finanzverwalterin autoritärer Mächte.
12. Zivilgesellschaft stärken: Eine starke, vielfältige, gut organisierte und informierte Zivilgesellschaft ist für die Erreichung der UNO-Ziele für nachhaltige Entwicklung («Agenda 2030») unabdingbar. Nur wenn engagierte BürgerInnen ihre Regierungen und Unternehmen zur Rechenschaft ziehen können, kann sich eine Gesellschaft nachhaltig entwickeln, ohne dass einzelne Gruppen von der Entwicklung abgehängt werden.
Krisenprävention statt Aufrüstung
Im Rahmen der laufenden Parlamentsdebatten und im Vorfeld der geplanten ruft Alliance Sud die Schweizer Politik dazu auf, weitsichtiger und kohärenter als bisher die aktuellen globalen Krisen anzugehen und einfache, aber unbrauchbare Antworten auf die neuen Sicherheitsrisiken zu verwerfen. «Internationale Zusammenarbeit ist die beste Krisenprävention, die Sicherheit der Schweiz hängt nicht von mehr Waffen, sondern von unserer Solidarität und Weltverträglichkeit ab», sagt Andreas Missbach, Geschäftsleiter von Alliance Sud.