Nach der Entlassung von mehr als 1300 Angestellten des NagaWorld-Hotelkomplexes in Phnom Penh brach im Dezember letzten Jahres ein großer Streik aus. Die kambodschanische Regierung reagierte gewaltsam und inhaftierte elf Gewerkschafter*innen. Es entsteht eine internationale Protestbewegung mit Solidaritätsaktionen in vielen Ländern (USA, England, Schweiz, Thailand) und Protesten bei den kambodschanischen Botschaften. Der aktuelle Stand der Dinge mit unserem Koordinator in Kambodscha Sammedy Seng.
Der Streik läuft seit zwei Monaten. Wie ist die Situation vor Ort?
Sammedy Seng: Die Regierung nutzt das Covid-Gesetz (Law of Preventive Measures Against the Spread of COVID-19 and other Dangerous Diseases), um die Demonstrationen mit bestimmten Auflagen einzuschränken. Die Streikenden müssen einen negativen Schnelltest und einen PCR-Test vorweisen, bevor sie demonstrieren dürfen. Die Kosten für einen PCR-Test von 80 bis 130 US-Dollar sind jedoch für viele Kambodschaner*innen unerschwinglich (ein typisches Gehalt im Casino-Sektor in Kambodscha liegt je nach Funktion bei etwa 200 bis 450 US-Dollar pro Monat, Anm. d.R.). Ein Beweis dafür, dass dieses Gesetz dazu benutzt wird, Demonstrierende zum Schweigen zu bringen. Riesige Massen von Fussballfans versammeln sich in diesen Tagen anlässlich der asiatischen U-23-Fussballmeisterschaft (AFF U-23 Youth Championship), deren Gastgeber Kambodscha ist, ohne dass dies für die Behörden ein Problem darstellt.
Setzt die Regierung andere Mittel ein, um die Streikenden zu unterdrücken? Streikenden, die nachweisen können, dass sie nicht mit Covid infiziert sind, ist es nur erlaubt, sich im Freedom Park zu versammeln. Dieser liegt weit entfernt von den Büros der Regierung und des Premierministers. Die wichtige, aber nicht beantwortete Frage lautet: Welche Verbindungen bestehen zwischen NagaWord und den Behörden? Die Regierung setzt unverhältnismässige Kräfte ein, um gegen Streikende vorzugehen. Das Arbeitsministerium drängt sie an den Verhandlungstisch, während ihre Gewerkschaftsführer und -aktivist*innen inhaftiert werden.
Wird der Kampf endgültig niedergeschlagen? Nein. 133 zivilgesellschaftliche Bewegungen und unabhängige Gewerkschaften haben Petitionen zu den zuständigen Ministerien gebracht, in denen sie die Freilassung der Verhafteten fordern. Die Menschen äußern sich auch auf Facebook und Plakate der 11 Inhaftierten wurden an Gebäuden von Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen angebracht.
Wie wird dieser Streik in den kambodschanischen Medien behandelt? Die staatlichen und regierungsfreundlichen Medien berichten nie über heikle Ereignisse. Sie verbreiteten jedoch die Festnahme und die Pressekonferenz der Polizei, um ein Bild von Streikenden zu vermitteln, die gegen das Gesetz verstossen. Einige unabhängige Medien durften nicht an der Pressekonferenz teilnehmen, die am 4. Januar 2022 im Polizeipräsidium von Phnom Penh über die Verhaftungen abgehalten wurde. In den sozialen Netzwerken zirkulierten die Aktionen im Ausland, wie die Stellungnahmen der ILO und von internationalen Gewerkschaften. Einige nichtstaatliche Medien griffen diese Informationen auf.
Welche Rolle spielt Solidar Suisse vor Ort? Solidar Suisse nimmt an den strategischen Treffen für die Mobilisierung teil. Sie war auch Beobachterin bei den Verhaftungen. Unsere lokalen Partner, mit denen Solidar Suisse seit langem zusammenarbeitet, beteiligen sich ebenfalls an der Mobilisierung, indem sie bei der Regierung und den Betroffenen intervenieren.
Die Regierung setzt unverhältnismässige Kräfte ein, um gegen Streikende vorzugehen. Das Arbeitsministerium drängt sie an den Verhandlungstisch, während ihre Gewerkschaftsführer und -aktivist*innen inhaftiert werden.
NagaWorld ist ein riesiger Casino-Hotel-Komplex. Die Entlassung von mehr als 1300 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ist der Auslöser des Konflikts.
In den sozialen Netzwerken häufen sich die Aufrufe zur Freilassung der inhaftierten Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter.
Solidaritätsaktionen finden in vielen Ecken der Welt statt. Hier von der örtlichen Gewerkschaft für das Gaststättengewerbe in Seattle.
Solidar Suisse hat die kambodschanische Mission in Genf besucht. Wir warten auf eine Antwort des Botschafters.
Länderreport Kambodscha
Anlässlich des Welttags der sozialen Gerechtigkeit führen wir mit unserem europäischen Partner-Netzwerk SOLIDAR eine globale Aktionswoche zum Thema „Shrinking Civic Space“ durch. Anlässlich dieser Thematik haben SOLIDAR und Solidar Suisse Hong Kong einen Länderreport veröffentlicht, in dem die derzeitigen Rahmenbedingungen für Gewerkschaften in Kambodscha und ihre Auswirkungen auf die gewerkschaftliche Organisierung, die Verhandlungs- und Interessenvertretungsfähigkeit, sowie die Arbeitsbedingungen und die Arbeitnehmerrechte untersucht werden.
