«Auch ich bin 1998 von Serbien nach Bihac geflüchtet», erklärt Aida Behrem die Motivation für Ihre Arbeit. «Und ich musste vier Jahre warten, bis ich endlich Papiere erhielt.» Aufgrund dieser Erfahrung wollte sie anderen Menschen in schwierigen Situationen helfen. Sie arbeitete viele Jahre für internationale Organisationen, bis sie realisierte, dass lokale Organisationen die Situation und Gepflogenheiten besser kennen und so optimal auf die Bedürfnisse der Menschen eingehen können. Also begann die Ökonomin mit Abschluss in Genderstudies und Traumabehandlung 2009 bei der Solidar-Partnerorganisation Women from Una zu arbeiten, die sie seit zehn Jahren leitet.

Es braucht mehr als materielle Unterstützung
«Als im Winter 2017/18 immer mehr Geflüchtete nach Bihac kamen, traf sich Women from Una mit den Behörden und dem Roten Kreuz, um zu sehen, wie wir helfen können», erzählt sie. Die Organisation konzentriert sich dabei auf die Verletzlichsten – Frauen mit und ohne Kinder sowie unbegleitete Minderjährige. Frauen müssen häufig vor Problemen in der Familie fliehen und sind auf der Flucht sexueller Gewalt ausgesetzt. «Das macht das Zusammenleben in der kollektiven Unterkunft für sie schwierig», weiss Aida Behrem, die weiterhin auch in der Betreuung tätig ist. Unbegleitete Minderjährige erleben ebenfalls vielfach Gewalt.
Women from Una informiert die Geflüchteten in den Empfangszentren über ihre Möglichkeiten, führt Kreativateliers, Sprach- und Sportkurse durch, bietet psychologische Beratung und Gruppensitzungen zur Traumabearbeitung an. Das Angebot wird rege genutzt und ist zu einem wichtigen sozialen Treffpunkt geworden. «Die Geflüchteten erhalten Kleider, Essen und medizinische Versorgung, aber wir sind die Einzigen, die auch soziale Aktivitäten anbieten», sagt Behrem. Diese sind wichtig, um mit den belastenden Erlebnissen umzugehen: «Eine junge Frau aus Pakistan, die vor der Gewalt von ihrem Ehemann geflohen ist, sagte mir, dass sie in den Workshops ihre frühere Liebe zum Malen wiederentdeckt habe. Dadurch seien ihre schlaflosen Nächte kreativ und produktiv geworden.»

Weiter in die EU
Die meisten Geflüchteten möchten nicht in Bosnien bleiben, sondern über Kroatien weiter in ein EU-Land reisen. Doch die Grenzen sind geschlossen, und der illegale Übertritt ist gefährlich. «Sie schwimmen mit Plastikkanistern durch den Fluss. Dabei sind auch schon Menschen gestorben. Aber es ist sehr schwierig, den Geflüchteten zu vermitteln, wie gefährlich das ist», sagt Behrem. Viele versuchen es immer wieder. «Wenn sie aufgegriffen werden, schaffen die Grenzbeamten sie zurück und nehmen ihnen alles weg, manchmal auch Kleider und Schuhe.»
Laut Schätzungen warten etwa 4000 Geflüchtete innerhalb und 2000 ausserhalb der Empfangszentren auf eine Gelegenheit, die Grenze nach Kroatien zu überqueren. Für Aida Behrem ist deren Unterbringung das grösste Problem. «Wer sich nicht einem der offiziellen Empfangszentren befindet, ist völlig schutzlos.» Viele übernachten in leeren Häusern oder im Wald, denn dort werden sie nicht registriert, sind nahe an der Grenze und frei, den Übertritt immer wieder zu versuchen.
Zu Beginn nahm die Bevölkerung die Geflüchteten freundlich auf, aber als immer mehr kamen, schlug die Stimmung um. «Die Menschen haben das Gefühl, keinen Einfluss auf die politischen Entscheide zu haben, und es werden zunehmend rassistische Gerüchte über die Geflüchteten verbreitet.» Das Gefühl der Bedrohung durch das Coronavirus verschärfte die Situation weiter – und behinderte auch die Arbeit von Women from Una, die ihre Aktivitäten einen Monat lang einstellen musste.

Grenzen öffnen
Aida Behrem wünscht sich einen anderen Umgang mit den Geflüchteten seitens der Regierung, die vor allem die illegale Migration stoppen möchte: «Gesundheitsprobleme und die spezifischen Bedürfnisse von Frauen und Kindern müssen besser berücksichtigt und die Geflüchteten über ihre Möglichkeiten informiert werden.» Die Reaktion der bosnischen Regierung ist unzulänglich, doch was vor allem braucht, ist eine Lösung auf globaler Ebene: «Jeder Mensch hat das Recht auf Schutz und ein sicheres Leben ohne Diskriminierung. Die Grenzen müssen für Geflüchtete und Migrantinnen geöffnet werden, statt sie zwischen den europäischen Ländern hin- und herzuschieben.»