Ohne Frauen keine Partizipation

Solidar Suisse berücksichtigt in diversen Projekten explizit die Bedürfnisse von Frauen. Beispielsweise in Moçambique, wo viele Mädchen und Frauen noch immer von Gewalt, illegalen Kinderehen und Arbeitslosigkeit betroffen sind.

Angelina Herinques streicht sich liebevoll über ihren Bauch. Sie ist schwanger und hofft, dass es ein Junge wird. Sie ist bereits Mutter von drei Mädchen. „Ich liebe meine Töchter und natürlich werde ich auch mein viertes Kind genau so lieben, wenn es wieder ein Mädchen ist“, sagt sie. Aber für Frauen ist das Leben in Zentralmoçambique hart. Härter als für Männer.

Moçambique ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die Republik ist gezeichnet vom erst 1975 beendeten Kolonialismus, vom Bürgerkrieg in den 1990er Jahren, von der HIV/Aids-Pandemie, Naturkatastrophen und einer immensen Staatsverschuldung. Vom Rohstoffboom im Norden des Landes profitieren die Wenigsten: Über die Hälfte der 30 Millionen Einwohner*innen lebt unter der Armutsgrenze und muss mit weniger als einem US-Dollar pro Tag auskommen. Die meisten Mädchen und Frauen, die fernab in den Dörfern leben, haben keine schulische Bildung, keine Arbeit – und sie kennen ihre Rechte nicht.

Die Bedürfnisse der Menschen berücksichtigen
Obwohl Moçambique vor 30 Jahren die Mehrparteiendemokratie eingeführt hat, schreitet die demokratische Entwicklung im Land nur langsam voran. Deshalb setzt sich Solidar Suisse in Zentralmoçambique für die Mitsprache der Bevölkerung bei der Entwicklung ihrer Gemeinde ein. Dorfvertreter*innen vermitteln in lokalen Entwicklungskomitees zwischen Bevölkerung und lokalen Behörden. Ziel ist es, dass die Ressourcen dort investiert werden, wo es die Dorfbewohner*innen am dringendsten brauchen. Dabei werden vor allem auch Frauen unterstützt, damit sie sich gleichberechtigt beteiligen und ihre Bedürfnisse mitteilen können.

„Unsere Töchter werden im Alter von 12, 13 Jahren mit älteren Männern verheiratet. Spätestens wenn sie schwanger werden, müssen sie die Schule verlassen.“

Angelina Herinques Mitglied des Entwicklungskomitees in Macate

Angelina Herinques lebt und arbeitet als Lehrerin in Macate in der Provinz Manica. Hier gibt es nur wenige Frauen, die sich in den Entwicklungskomitees engagieren. Die 37-Jährige sitzt an einem heissen Tag im August als einzige Frau mit drei Männern im grossen Saal des Regierungsgebäudes. Weil die meisten Frauen Kinder haben und deren Betreuung als ihre Aufgabe angesehen wird, ist für sie die Hürde grösser, den weiten Fussmarsch zu den Versammlungen auf sich zu nehmen. Angelina Herinques ist seit drei Jahren dabei und zufrieden mit der bisherigen Entwicklung: „Von den Männern im Komitee werde ich respektiert, für andere Frauen aus der Gemeinde bin ich ein Vorbild, und sie teilen mir mit, was ihnen fehlt.“

Für die Frauen sei es wichtig, eine weibliche Ansprechpartnerin zu haben. Wenn Angelina Herinques über die lange Liste der Bedürfnisse von Frauen spricht, wird ihre Stimme lauter und die Pausen zwischen ihren Sätzen kürzer. „Ein wichtiges Thema ist die Arbeitslosigkeit.“ Viele Frauen haben keine Arbeit, weil sie die Schule nicht abgeschlossen und keinen Beruf erlernt haben. „Wir brauchen also mehr Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten“, sagt sie. „Aber wir müssen auch unser Denken verändern.“ In Moçambique sind 48 Prozent der Mädchen unter 18 Jahren verheiratet. Kinderehen sind in den ländlichen Regionen weit verbreitet – obwohl sie gesetzlich verboten und strafbar sind. „Unsere Töchter werden im Alter von 12, 13 Jahren mit älteren Männern verheiratet. Spätestens wenn sie schwanger werden, müssen sie die Schule verlassen.“ So ist es schwierig, einen Weg aus der Armut zu finden.

Veränderungen brauchen Zeit
Rosita Lobrino ist die Präsidentin der Provinzversammlung in Manica. Sie strahlt Anmut und Autorität aus, als sie in ihrem Büro in der Stadt Chimoio von ihrer Arbeit erzählt. Sie kennt die Herausforderungen, mit denen Frauen in Moçambique konfrontiert sind. „Einige davon habe ich selbst erlebt“, sagt sie. „Auf meinem Weg zur Provinzpräsidentin erfuhr ich viel Neid und Hass. Mir wurde immer gesagt, ich sei nicht für diesen Job gemacht, weil ich eine Frau bin.“ Doch davon liess sie sich nicht aufhalten.

Die 54-Jährige wuchs in armen Verhältnissen auf. „Mein Vater starb früh, und meine Mutter musste allein für mich und meine zwölf Geschwister sorgen. Ich besass ein einziges Kleid für die Schule. Jeden Abend nach dem Unterricht wusch ich es und liess es auf unserem Dach über Nacht trocknen, damit ich es am nächsten Tag wieder tragen konnte.“ Es sei ein hartes Leben gewesen, das ihr jedoch viel beigebracht habe. „Wir Frauen müssen dafür sorgen, dass wir mitreden können. Dafür müssen wir härter arbeiten als die Männer. Aber am Ende lohnt es sich.“

„Frauen wurde über Jahrhunderte eingetrichtert, dass sie das schwächere Geschlecht sind.“ Es sei höchste Zeit, das zu ändern. „Aber etwas zu ändern, das so in unserer Kultur und Tradition verankert ist, braucht Zeit.“ Rosita Lobrino ist sicher, dass Moçambique auf dem richtigen Weg ist. Heute sind 23 Prozent der Mitglieder im Parlament von Manica Frauen. 2019 wurde ein neues Gesetz erlassen, das Frauen besseren Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt bieten soll. „Ich fördere Frauen mit meiner Politik gezielt“, sagt sie. „Denn zu viele junge Frauen brechen die Schule ab.“ So begleitet sie ein Ausbildungsprojekt für junge Mütter, die mit einem Abschluss in ihre Gemeinde zurückkehren – und trotz Baby ­­– arbeiten können. Damit das Leben in Moçambique dereinst für Frauen nicht mehr härter ist als für Männer.

„Wir Frauen müssen dafür sorgen, dass wir mitreden können. Dafür müssen wir härter arbeiten als die Männer. Aber am Ende lohnt es sich.“

Rosita Lobrino Präsidentin der Provinzversammlung in Manica

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