Tiefe Löhne, massive Überzeiten, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz: Diverse Recherchen in den vergangenen Jahren haben aufgezeigt, wie bitter die Realität für Arbeiter*innen an den Fliessbändern asiatischer Elektronikfabriken aussieht. So auch der im November 2023 erschienene «Electronics Report» von Solidar Suisse. Im Wissen um die problematischen Arbeitsbedingungen haben verschiedene Firmen der Elektronikbranche vor 20 Jahren die «Responsible Business Alliance» (RBA) gegründet. Diese Industrie-Initiative hat sich zum Ziel gesetzt, «verantwortliche Geschäftspraktiken in der Elektronik-Lieferkette zu etablieren». Dieser freiwillige Selbstregulierungsmechanismus hat es aber bisher nicht geschafft, die Arbeitsbedingungen der Elektronikbranche entscheidend zu verbessern, wofür es vielfältige Gründe gibt.

Solidar Suisse fordert deshalb in einem gemeinsamen Statement mit 9 weiteren Organisationen, darunter China Labor Watch, Good Electronics, Action Aid France und Christliche Initiative Romero, die RBA dazu auf, grundlegende Massnahmen zu ergreifen, welche die Mitglieder verstärkt dazu verpflichten, menschenwürdige Arbeitsverhältnisse in ihrer Lieferkette zu schaffen.

WAS IST DIE RESPONSIBLE BUSINESS ALLIANCE?

Die RBA wurde 2004 von einer kleinen Gruppe von Elektronikmarken und grossen Zulieferern unter dem Namen “Electronic Industry Citizen Coalition” (EICC) initiiert, um einen branchenweiten Standard für soziale, ökologische und ethische Kriterien in der Lieferkette von Elektronikprodukten zu schaffen. Heute gehören der RBA über 230 Unternehmen, insbesondere aus der Elektronikbranche, aber auch aus dem Spielzeug-, Auto- und Detailhandelsbereich an. Diese erzielen einen jährlichen Umsatz von 7,7 Billionen Dollar und beschäftigen über 6 Millionen Menschen. Zu den Mitgliedern gehören Elektronik-Brands wie Apple, Samsung, Lenovo, Microsoft oder Logitech, aber auch BMW, Tesla oder Zulieferer wie Foxconn oder Pegatron.

Die RBA gibt mit ihrem Verhaltenskodex (Code of Conduct) Sozial- und Umweltstandards für ihre Mitglieder vor. Unter anderem verbietet der Kodex Zwangsarbeit, die Beschäftigung von Minderjährigen, übermässige Überstunden, Diskriminierung und unrechtmässig tiefe Löhne. Zusätzlich macht er Vorgaben bezüglich Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz.

Die Überprüfung der Einhaltung erfolgt im Kern in Form von Audits durch Drittfirmen im Rahmen des «Validated Assessment Program» (VAP). Um ein “volles” RBA-Mitglied zu werden, müssen Unternehmen eine solche VAP-Bewertung durchlaufen.

WO LIEGEN DIE PROBLEME DER RESPONSIBLE BUSINESS ALLIANCE?

Es gibt mehrere Gründe, weshalb die RBA es bislang nicht geschafft hat, die Einhaltung der eigenen Sozialstandards durch die Mitglieder zu gewährleisten und die Arbeitsbedingungen nachhaltig zu verbessern:

• Mangelhafte Sozialaudits: Die VAP-Sozialaudits sind zu oberflächlich und durch fehlende Vertraulichkeit bei Arbeiter*innen-Interviews geprägt. Dies wäre aber zwingend nötig, um die systematischen Probleme zu erkennen, die hinter unfairen Arbeitsbedingungen stehen.
• Fehlende Arbeitnehmer*innenvertretung: Die RBA ist eine reine Industrie-Initiative, deren Verwaltungsrat sich ausschliesslich aus Führungskräften der Mitgliedsunternehmen zusammensetzt. Es gibt weder unabhängige Arbeitnehmervertreter*innen noch Vertreter*innen der Zivilgesellschaft aus den Regionen, in denen die RBA-Mitglieder ihre Waren produzieren.
• Interessenskonflikte: Die RBA wird von den jährlichen Beiträgen ihrer Mitglieder getragen. Dies birgt einen grundlegenden Interessenskonflikt: Einerseits will die RBA eine Überwachungsfunktion in der Branche wahrnehmen, andererseits liegt es nicht im finanziellen Interesse der RBA, fehlbare Mitglieder auszuschliessen.
• Fehlende Durchsetzung der Standards: Obschon die RBA Richtlinien vorgibt, ist sie keine Durchsetzungsinstanz für die Einhaltung dieser. Letztlich regeln sich die Unternehmen selbst. Insbesondere in Regionen mit schwacher Durchsetzung von Arbeitsgesetzen ist dies problematisch.
• Mangelnde Transparenz: Die Resultate von durchgeführten VAP-Audits werden genau so wenig veröffentlicht wie Informationen zur Kommunikation mit der RBA und ihren Partnern oder zivilgesellschaftlichen Organisationen.

Auch der Verhaltenskodex selbst weist grosse Schwächen auf. So verlangt er z.B. von den Mitgliedern keinerlei Anstrengungen zur Bezahlung eines existenzsichernden Lohns, erlaubt Wochenarbeitszeiten von bis zu 60 Stunden und beschränkt das Recht auf Arbeitnehmer*innenrepräsentation auf «gesetzeskonforme» Formen – dies ist ein Problem in Ländern, welche die Gewerkschaftsfreiheit per Gesetz einschränken.

WAS FORDERN WIR VON DER RESPONSIBLE BUSINESS ALLIANCE?

Auch wenn die RBA nicht alleine für die Lösung der systematischen Missstände der Branche verantwortlich ist, verfügt sie als «weltweit grösste Industriekoalition für  verantwortungsvolle Geschäftspraktiken in globalen Lieferketten» über eine grosse Hebelwirkung. Um dem eigenen Anspruch, aber auch den Rechten von Arbeitnehmer*innen gerecht zu werden, empfehlen wir der RBA folgende Massnahmen zu ergreifen:

1. Erhöhte Transparenz zu den internen Abläufen
   Dazu gehören u.a. die Publikation der Resultate von Sozialaudits sowie der verwendeten Methoden.
2. Konsequenzen für Mitglieder, die gegen die Richtlinien verstossen
   Verstösse gegen den Verhaltenskodex dürfen nicht ungeahndet bleiben. Firmen müssen zu zeitgebundenen Korrekturmassahmen verpflichtet und im Wiederholungsfall ausgeschlossen werden.
3. Zeitnahe und öffentliche Reaktion auf Hinweise aus der Zivilgesellschaft, welche missbräuchliche Arbeitsbedingungen bei den Mitgliedern aufdecken
4. Aufbau von unabhängigen Beschwerdemechanismen für Arbeiter*innen
   Zum Beispiel eine Hotline für Arbeiter*innen, inklusive entsprechender Schulungen für die Belegschaft.
5. Schaffung einer Arbeitnehmer*innenvertretung im RBA-Verwaltungsrat
   Die RBA muss mindestens zwei Sitze für Arbeitnehmervertreter*innen oder zivilgesellschaftliche Organisationen schaffen.
6. Einführung einer ergebnisorientierten Berichterstattung für die Mitgliedsunternehmen.
   In Übereinstimmung mit neuen EU-Regeln zur Nachhaltigkeitsberichterstattung sollten sämtliche Mitglieder der RBA aufzeigen, welche Massnahmen sie zur Einhaltung der Menschenrechte in ihrer Lieferkette ergreifen und ob diese auch wirksam sind.

Um echte Verbesserungen für Arbeiter*innen zu erzielen, müssen deren Anliegen ernsthaft gehört werden. Genau dies haben unsere Empfehlungen zum Ziel und decken sich somit mit dem, was sich die RBA eigentlich auf die Fahne schreibt: Sichere Arbeitsbedingungen, verantwortungsvolle Geschäftspraktiken und eine würdevolle Behandlung von Arbeiter*innen zu gewährleisten.