Auf Augenhöhe

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Weltweit arbeitet Solidar Suisse mit Partnerorganisationen und Institutionen zusammen, um Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe verwirklichen zu können. In diesem Beitrag gehen wir den Fragen nach: Wie können ungleiche Machtbeziehungen zwischen internationalen Partner*innen verändert werden, und was tut Solidar Suisse dafür?

Bereits bei der Gründung 1936 noch unter dem Namen Schweizerisches Arbeiterhilfswerk legte Solidar Suisse fest, dass vor Ort unbürokratisch Solidarität umgesetzt werden soll. Ein Konzept, das 2016 mit dem Sondergipfel der Geberländer in Istanbul neuen Auftrieb bekommen hat. Dort wurde festgestellt, dass zwei Drittel der Geldempfänger*innen wenig bis gar keinen Einfluss auf Entscheidungen haben. Mit der «Grand Bargain»-Vereinbarung, die daraus entstand, verpflichteten sich die Geberländer zu mehr Lokalisierung. Das heisst, die Menschen vor Ort sollen mehr Entscheidungsmacht erhalten.  

Zum Beispiel Burkina Faso 

In manchen Ländern passiert das zwangsläufig, etwa in Burkina Faso, wo zu einigen Gebieten nur noch lokale Partnerorganisationen Zugang haben. «Hier müssen wir wegen der angespannten Sicherheitssituation Verantwortung übergeben», erklärt Serafina Häfeli, Programme Officer Burkina Faso.  Bei den rund zwanzig Partnerorganisationen des Burkina-Faso-Programms haben wir im Februar eine anonyme Umfrage lanciert, um herauszufinden, wie diese Solidar Suisse sehen und was sie von der Zusammenarbeit erwarten. Die Fragen richtetenn sich jeweils an zwei Mitarbeitende aus unterschiedlichen Abteilungen, um verschiedene Perspektiven zu berücksichtigen.  

Erste Resultate zeigen, dass auf Projektebene viel vor Ort entschieden wird. Die Umfrage offenbart aber auch, dass manche Partner auf strategischer Ebene stärker mitentscheiden möchten. So fordern sie teilweise mehr Visibilität, um bekannter zu werden. «Je nach Situation versuchen wir, Partnerorganisationen durch mehr Sichtbarkeit zu stärken – oder durch weniger zu schützen», sagt Serafina Häfeli und ergänzt: «Mehr Verantwortung bedeutet zwar mehr Macht, aber auch Risikoabwälzung, dessen müssen wir uns bewusst sein.»  

Mehr Autonomie 

Solche Erkenntnisse sind auch für Machtverschiebungen auf höherer Ebene zentral. Es braucht ein neues Selbstverständnis und Entscheide, die auf die aktuelle Situation reagieren. «Mehr Autonomie für die Partner und mehr Flexibilität ihnen gegenüber, zu verhandeln, ist ein wichtiger Teil unserer Arbeit geworden», sagt Sandrine Rosenberger, Leiterin Monitoring & Evaluationen, «wir versuchen, den Spielraum unserer Partner zu erweitern, indem wir den Gebern erklären, was ihre – manchmal überhöhten – Forderungen für diese bedeuten.» 

Auch wenn während der Pandemie lokalen Mitarbeitenden und Partnerorganisationen zwangsläufig mehr Verantwortung überlassen wurde, da Reisen nicht möglich war, und die Forderung nach Dekolonialisierung zunehmend wahrgenommen wird, sind die Beziehungen zwischen dem Globalen Norden und Süden im Kern asymmetrisch geblieben. Zwei Debatten befassen sich aus unterschiedlicher Perspektiven damit: Dekolonialisierung fordert neue Strukturen, um Asymmetrien aufzulösen. Lokalisierung fragt danach, wie die Zusammenarbeit mit Partner*innen vor Ort konkret aussehen soll.  

Wer entscheidet? 

Denn obwohl sich die Geber*innen 2016 zu mehr Lokalisierung verpflichtet haben, bleiben in der Praxis viele Fragen offen: Wer wählt die Partnerorganisationen aus? Wer entscheidet? Und wie wird eine Partnerschaft beendet? «Wir dürfen uns nichts vormachen: Solange die finanziellen Mittel für die Projekte aus der Schweiz stammen, können wir, was Geld betrifft, Augenhöhe nicht in Anspruch nehmen», erklärt Felix Gnehm, Geschäftsleiter von Solidar Suisse. «Je mehr Respekt, Vertrauen, Empathie und Vorstellungskraft für die Lebensrealitäten vor Ort wir unseren Partnern entgegenbringen, desto höher werden unsere Partnerschaften vor Ort bewertet.» 

Begriffe hinterfragen 

Mitarbeitende von Solidar Suisse in der Schweiz reflektieren diese Diskussion in verschiedenen Arbeitsgruppen: Sie hinterfragen Begriffe, organisieren Workshops, entwickeln strategische Ideen – und decken immer wieder Widersprüche auf. Etwa, dass die Realität der Bewohner*innen eines ehemals kolonialisierten Landes für viele Menschen in der Zentrale einer NGO nur schwer zu verstehen bleibt, weil ihnen die konkrete Erfahrung fehlt. 

Solidar Suisse ist in verschiedenen Ländern durch Koordinationsbüros mit lokalen Mitarbeitenden präsent. Die daraus folgende Heterogenität löst das Problem zwar nicht, ermöglicht aber eine Vielfalt an Perspektiven: «Wir haben verschiedene Rollen, Perspektiven und Hintergründe, leben in verschiedenen Ländern und sind unterschiedlich betroffen», sagt Rosenberger. Augenhöhe gegenüber den Partner*innen bedeutet eben auch, unsere Verantwortung anzuerkennen: Wenn wir aufzeigen, wie weltweite Ungerechtigkeit mit unserem Verhalten in der Schweiz zusammenhängen, hilft das auch den Menschen vor Ort.  

Unser Magazin «Soli»

Die aktuelle Ausgabe unseres Magazins ist unseren Partner*innen in der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe gewidmet: Stiftungen, lokale Organisationen, überregionale Netzwerke, Institutionen. Wie sieht unser Partnerschaftsansatz aus und was bedeutet er konkret bei humanitären Einsätzen und in der internationalen Zusammenarbeit? Und wie sehen unsere Partner*innen eigentlich Solidar Suisse?

Lesen Sie unsere neuste Ausgabe und tauchen Sie ein in die Welt der grenzenlosen Partnerschaften.

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