Ausschreitungen in Südafrika: Reaktion auf Armut und Hunger
Im Juli 2021 sah Südafrika die heftigsten Unruhen seit Ende der Apartheid. Was als soziale Mobilisierung der Fraktion von Ex-Präsident Zuma innerhalb der Regierungspartei ANC begann, mündete sehr schnell in Massenausschreitungen in den Provinzen KwaZulu Natal und Gauteng. Hunderte von Geschäften wurden zerstört und geplündert. Die Polizei war völlig überfordert, die Armee wurde mobilisiert. Insgesamt starben 337 Menschen.
Die Ereignisse haben Schock, Trauer, Unverständnis und scharfe Verurteilungen hervorgerufen. Im folgenden öffentlichen Statement bemühen sich sechs zivilgesellschaftliche Organisationen um eine differenzierte Sichtweise und eine Einordnung in die jüngste Geschichte Südafrikas seit Ende der Apartheid. Das ebenfalls unterzeichnende Casual Workers Advice Office ist seit vielen Jahren Partnerorganisation von Solidar Suisse.
Die Regierung und die bürgerlichen Kräfte verurteilten die Juli-Ereignisse aufs Schärfste als eine sinnlose Gesetzlosigkeit, die an einen Aufstand grenzt. Auch einige Organisationen von Arbeiter*innen bezeichneten die Aktionen als blinde Kriminalität und Anarchie.
Was als interner Fraktionskampf im ANC begann, der von Jacob Zumas sozialer Basis vorangetrieben wurde, entwickelte sich innerhalb weniger Tage zur Massenaktion einer Arbeiterklasse gegen Armut und Hunger. Ziel waren ganz bewusst Einkaufszentren. Kleine lokale Shops wurden nicht ins Visier genommen – auch keine von Migrant*innen. Die Ausschreitungen waren weitgehend frei von Fremdenfeindlichkeit. Auch klare Forderungen oder Slogans fehlten und nirgendwo tauchten Graffiti auf. Es gab keine Wortführer*innen, die programmatische oder ideologische Ansichten vertreten hätten.
Die Ausschreitungen waren eine deutliche Reaktion auf Hunger und Armut, verursacht durch 25 Jahre Neoliberalismus und die ungenügende Antwort der Regierung auf Covid-19, die sich durch einen Shutdown ohne wirklichen sozialen Schutz und Unterstützung für die Menschen auszeichnete.
Würdiges Leben steht über Privateigentum Die Wahl der Ziele deuten darauf hin, dass es bei den Ausschreitungen um eine Konfrontation zwischen dem Recht auf Nahrung und Leben auf der einen und dem Recht auf Privateigentum auf der anderen Seite ging. Mit den Massenplünderungen zeigten die Protestierenden, dass sie ihr Recht auf einen würdigen Lebensunterhalt dem kapitalistischen Privateigentum überordnen. Der Einsatz der südafrikanischen Streitkräfte sollte dabei nicht nur die aktuellen Unruhen unterdrücken, sondern auch zukünftige soziale Kämpfe verhindern. Die Regierung stützte sich nicht nur auf den üblichen Repressionsapparat, sondern es ist eine neue Art von Selbstjustiz entstanden mit dem Ziel, die aufständigen Massen gewaltsam zu unterdrücken und Privateigentum zu schützen.
Unter dem Druck anhaltender Armut sind in Südafrika viele weitere solche Aktionen zu erwarten. Damit zeigen die Menschen, dass sie nicht bereit sind, den Zustand der Entbehrung weiter passiv zu erdulden. Dies ist die wichtigste Erkenntnis der Ereignisse der letzten Wochen.
Unterzeichnende Organisationen
Simunye Workers Forum Casual Workers Advice Office
Gauteng Community Health Workers Forum
Khanya College
Orangefarm Humang Rights Advice Center
Giwusa
Johannesburg, 23.7.2021
Ein Effekt der Ausschreitungen war, dass die ANC-Regierung die staatlichen Covid-Unterstützungszahlungen weiterführt, die eigentlich eingestellt werden sollten.
