Der Wald
ist unser
Reichtum

Delmy Argota engagiert sich in einem Solidar-Projekt in Bolivien dafür, dass der Regenwald nachhaltig genutzt und erhalten wird.

Text und Bild: Guimer Zambrano

«Eines Tages werde ich sein wie sie, dachte Delmy Argota als kleines Mädchen über die Mitarbeiter*innen der Entwicklungsorganisation in ihrem kleinen Dorf. Heute, mehr als zwei Jahrzehnte später, trägt sie als Kommunikationsverantwortliche des Solidar-Projekts «Bionegocios Guarayos» zum Erhalt eines der wichtigsten Waldreservate Boliviens bei.

Das Projekt will die nachhaltige Produktion der indigenen Gemeinschaften im Waldreservat Guarayos stärken, ein Gebiet mit einer Fläche von mehr als einem Drittel der Schweiz. Die Gemeinschaften stellen Öl, wilden Kakao, Shampoos und Cremes aus wilden Palmen, Kunsthandwerk aus Palmblättern und holzgeschnitzte Ornamente her. Mit der nachhaltigen Nutzung der Ressourcen tragen sie zum Erhalt des Waldes bei. Mit Slogans wie «Der Wald ist unser Reichtum» sensibilisiert Delmy Argotas in Radio und Fernsehen sowie auf Social Media die Bevölkerung für seine nachhaltige Nutzung: «Es ist wichtig, die Bedeutung des Waldes für das Leben der Menschen zu vermitteln. Früher wurde hier gejagt und gefischt, es war viel harmonischer. Wir versuchen, diese Praktiken wiederzubeleben», sagt die 30-Jährige.

Delmy Argota verliess Tigüipa, ihr 1100 Kilometer von der Hauptstadt La Paz entferntes Heimatdorf im bolivianischen Chaco, bereits nach der Primarschule. In der nächstgelegenen Stadt besuchte sie das Gymnasium und wurde Schulbeste – die Voraussetzung, um ein Universitätsstipendium zu erhalten. Zum Studieren ging sie nach Santa Cruz, der grössten Stadt des Landes. Die junge Frau aus der Provinz liess sich von den Lichtern der Zwei-Millionen-Stadt Stadt nicht blenden: «Wenn meine Klassenkameraden einen Hamburger holen wollten, teilte ich ihre Begeisterung nicht. Ich vermisste den Quesillo und das Rührei mit Mais meiner Mutter», erzählt sie. «Sogar die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen, musst ich erst lernen.»

Zurück ins Heimatdorf

Sie entschied sich für den Studiengang Soziale Kommunikation wegen seiner Nähe zu den Menschen. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie als Verkaufsförderin in Supermärkten an den Wochenenden, sie schrieb Hausarbeiten für ihre Mitstudent*innen und half bei audiovisuellen Produktionen aus. Eine Bedingung für die Ausbildung an ihrer Privatuniversität war, dass sie an ihren Herkunftsort zurückkehrte, um das Gelernte dort einzusetzen. Und das tat sie: Die junge Frau, die gerne Fussball spielt, arbeitete acht Monate als kommunale Koordinatorin für Jugendaktivitäten. Nach mehreren befristeten Anstellungen bei Entwicklungsorganisationen bewarb sich Delmy Argota 2021 auf eine Stelle zur Förderung von Umweltanliegen von Solidar Suisse. Sie war die jüngste Bewerberin, aber ihre Fähigkeiten, ihr Charisma und ihr Wunsch, sich für Menschen zu einzusetzen, gaben den Ausschlag. «Um Ausbeutung zu verhindern, sollte der Konsum verantwortungsvoller werden, von nachhaltig produzierten Lebensmitteln bis zu zertifiziertem Holz», findet Delmy Argota. Sie lebt zusammen mit ihren drei jüngeren Geschwistern hier und versucht, die Rückverfolgbarkeit der Produktionsketten zu konsolidieren. Denn die Städter*innen sollen wissen, dass ihr Einkauf bei indigenen Gemeinschaften zum Erhalt des Waldes beiträgt.

Jugendliche engagieren sich

Das Projekt bietet auch Räume, in denen die Teilnehmenden künstlerische Fähigkeiten vertiefen und Darbietungen zu Themen rund um die nachhaltige Nutzung des Waldes entwickeln können. Delmy Argota hat kürzlich eine Kunstkarawane organisiert, bei der Wandbilder gemalt und Theaterstücke aufgeführt wurden. Es stimmt sie zuversichtlich, dass sich viele junge Menschen mit grossem Engagement und Kreativität daran beteiligen. Sie möchte sich weiter auf Umweltschutz spezialisieren und dazu einen Aufbaustudiengang absolvieren. Denn sie ist bei «Bionegocios Guarayos» zur Überzeugung gelangt, dass der beste Weg zur Erhaltung der Waldgebiete darin besteht, die Menschen vor Ort bei der nachhaltigen Nutzung der Ressourcen zu unterstützen und ihnen Vermarktungswege auf grossen Märkten zu eröffnen. «Ich träume davon, dass die Unternehmen in ganz Bolivien und über die Grenze hinaus bekannt werden und Erfolg haben. Denn so kann die Lebensqualität der lokalen Familien verbessert werden. Das ist die beste Garantie dafür, dass sie den Wald erhalten», sagt sie lächelnd.

Wenn Delmy Argota die indigenen Gemeinden von Guarayos besucht, erinnert sie sich an das kleine Mädchen, das im fernen Tigüipa die Arbeit der «Entwicklungshelfer*innen» bewunderte und hofft, dass ihre Arbeit vielleicht die Kinder dort ebenfalls inspiriert.

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