Krisen über Krisen

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Ob in Myanmar, Syrien oder anderen Krisenregionen: Zunehmend überlagern und verstärken sich verschiedene Krisen und treffen bereits Benachteiligte am härtesten.

Im Herbst 2015 feierten die Menschen in Myanmar den Wahlsieg von Aung San Suu Kyi auf den Strassen, Aufbruchstimmung durchströmte nach Jahrzehnten brutaler Militärdiktatur das Land. Trotz reicher Bodenschätze war Myanmar eines der ärmsten und am stärksten isolierten Länder Südostasiens. Hoffnungsträgerin Aung San Suu Kyi bewirkte in den folgenden Jahren einen gewissen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufschwung. Doch grosse Herausforderungen blieben, etwa die ungelöste Lage ethnischer Minderheiten, die 2017 in die gewaltsame Vertreibung der muslimischen Rohingya mündete.

Erdbeben trifft auf bewaffneten Konflikt

Als Aung San Suu Kyi die Wahlen 2020 wieder gewann, putschte das Militär im Februar 2021 und stürzte das Land erneut in eine gewaltsame Diktatur. Seither herrscht ein interner bewaffneter Konflikt. Luftangriffe, Vertreibungen, Repression und systematische Zerstörungen prägen den Alltag. Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht, viele leben in notdürftigen Unterkünften ohne Zugang zu medizinischer Versorgung, Essen und Bildung.

In dieser Situation wurde die Bevölkerung im März 2025 von einem starken Erdbeben getroffen, das zahlreiche Häuser und Infrastruktur zerstörte. Staatliche Unterstützung gab es kaum. Internationale Hilfsorganisationen waren zwar vor Ort, doch ihr Zugang war eingeschränkt, und sie konnten bei Weitem nicht alle Betroffenen erreichen. Und trotz eines erklärten Waffenstillstands gab es in manchen Regionen bis Ende Mai rund 80 Luftangriffe, welche die Lage weiter verschärften.

Keine Unterstützung durch die Regierung

Bei meinem Besuch im Mai wurde schnell klar, dass die Menschen kaum Hilfe von der Regierung erwarten können. Gemeinsam mit unserer lokalen Partnerorganisation unterstützen wir deshalb die Ärmsten mit Bargeldhilfen, um zumindest vorübergehend ihre Grundbedürfnisse zu decken. Gleichzeitig planen wir den Wiederaufbau in schwer zugänglichen Gebieten, wo es an Hilfe fehlt. Denn der Zugang stellt eine der grössten Herausforderungen dar. Als Ausländer konnte ich bestimmte Gebiete nicht betreten. Es gibt auch Restriktionen für lokale Mitarbeitende, und zahlreiche Checkpoints bergen Risiken für sie, da in der Region eine Wehrpflicht gilt. Glücklicherweise wissen unsere Kolleg*innen, wie sie sich vor einer Einberufung schützen können. Für sie wäre es unvorstellbar, für ein Militär zu kämpfen, das die eigene Bevölkerung angreift.

Katastrophen multiplizieren sich

«Wie viel müssen wir noch ertragen?», ist eine häufige Aussage auf der Strasse und in sozialen Medien. Die sich überlagernden Krisen – Konflikt, Armut, Naturkatastrophen – verschärfen die Lebensbedingungen der verletzlichsten Menschen zusätzlich. Viele verfügen kaum über Ressourcen, um die Folgen zu bewältigen. Zum Beispiel Daw Htay Htay Mar: Das Erdbeben zerstörte eine Aussenwand des Hauses, in dem sie mit Tochter und Enkelkind lebt. Einerseits haben sie nun Angst, halb unter freiem Himmel zu schlafen, andererseits zögern sie, in dem durch das Beben beschädigten Innenraum zu übernachten. Doch ihnen fehlen die Mittel, um die Schäden in absehbarer Zeit zu reparieren. Und ein Ende der Krise ist nicht in Sicht.
Myanmar steht exemplarisch für zunehmende Mehrfachkrisen: Verschiedene Katastrophen treffen gleichzeitig oder kurz nacheinander auf eine ohnehin verletzliche Bevölkerung und verstärken sich gegenseitig. Ein Erdbeben in einem friedlichen, wohlhabenden Land ist eine Herausforderung. In einem Land mit bewaffneten Konflikten und zerstörter Infrastruktur, ohne funktionierende Verwaltung und mit politisch motivierter Behinderung von Nothilfe wird es zur humanitären Katastrophe in kaum zu bewältigendem Ausmass.

Obwohl der Konflikt in Syrien den Wiederaufbau nach dem Erdbeben erschwerte, konnte das zerstörte Haus von Haider Mustafa Muktat und Walida Mohamad Haj Hussain instand gestellt werden.

Konflikt behindert humanitäre Unterstützung in Syrien

Dass Myanmar kein Einzelfall ist, zeigt ein Blick nach Syrien: Das schwere Erdbeben im Februar 2023 forderte im Südosten der Türkei und in Nordwestsyrien über 50’000 Menschenleben. Mit Nordwestsyrien war ebenfalls eine Region betroffen, die seit Jahren von einem bewaffneten Konflikt und Vertreibung geprägt ist. Die Bevölkerung lebte in bereits beschädigten Gebäuden oder in Flüchtlingslagern; Armut und eingeschränkter Zugang zu grundlegender Versorgung verschärften die Erdbebenfolgen erheblich. Kämpfe zwischen bewaffneten Gruppen erschwerten die humanitäre Unterstützung, Grenzübergänge waren blockiert, und das Assad-Regime verzögerte gezielt die internationale Unterstützung für von der Opposition kontrollierte Gebiete. Die Lebensgrundlagen vieler Menschen wurden weiter zerstört, ihre Sicherheit bleibt bis heute gefährdet.

«Die Zukunft sah düster aus, da wir alles verloren hatten. Mit dem Wiederaufbau des Hauses wendete sich unser Leben von Verzweiflung zu Hoffnung.»

Haider Mustafa Muktat Überlebender des Erdbebens in Syrien

Wiederaufbau, der den nächsten Schock übersteht

Solidar Suisse ist in Kontexten aktiv, wo sich Naturkatastrophen und politische Krisen überlagern. So bauen wir in Syrien Wasserversorgungssysteme und Häuser wieder auf, die durch den Konflikt und zusätzlich durch das Erdbeben beschädigt wurden. In solch unsicheren Situationen ist Unterstützung existenziell: «Unser Haus wurde durch das Erdbeben komplett zerstört. Die Zukunft sah düster aus, da wir alles verloren hatten. Mit dem Wiederaufbau des Hauses wendete sich unser Leben von Verzweiflung zu Hoffnung», sagt Haider Mustafa Muktat, dessen Haus von der Solidar-Partnerorganisation SARD instand gestellt wurde. In Myanmar planen wir die Reparatur von Wohnhäusern in Gebieten, die nicht von der Militärjunta kontrolliert werden und deshalb häufig Ziel von Angriffen und dementsprechend zerstört sind. Wir unterstützen Menschen, deren Leben durch eine Kette von Krisen aus der Bahn geworfen wurde. Dabei geht es nicht nur um schnelle Hilfe nach einer Katastrophe, sondern um den Aufbau von Strukturen, die auch den nächsten Schock überstehen, sei es ein Beben, ein Angriff oder eine erneute Vertreibung.

Unser Magazin Soli

Weltweit häufen sich lang anhaltende Krisen und werden immer komplexer. Naturkatastrophen treffen auf eine bereits durch Konflikte geschwächte Bevölkerung. Politische Entscheidungen und gekürzte Mittel verschärfen die Not. Doch die Welt schaut oft zu schnell wieder weg. Solidar Suisse setzt auf lokale Partnerschaften, Ausdauer und Menschlichkeit – gegen das Vergessen, gegen die Stille nach der Katastrophe. Denn echte Veränderung braucht nicht nur Nothilfe, sondern Zeit, Vertrauen und Präsenz. Nur so kann Hoffnung und Widerstandskraft wachsen.

Erfahren Sie in der neuen Soli, wie wir die von Krisen betroffene Bevölkerung unterstützen.

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