«Mich beunruhigt das Wegbrechen von Werten»

Die Welt steht unter Druck: mehr Konflikte, weniger Solidarität, schrumpfende Budgets. Im Interview mit Solidar Suisse spricht die Leiterin der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA Patricia Danzi über die dramatischen Folgen für Millionen Menschen – und über den Wertezerfall in der internationalen Politik.

Interview: Katja Schurter

Krisen nehmen global zu, gleichzeitig hat Donald Trump USAID zerschlagen, auch in anderen Ländern werden die Gelder für die Entwicklungszusammenarbeit gekürzt. Wie sehen Sie diese widersprüchlichen Entwicklungen?

Patricia Danzi: Der Finanzierungsrückgang hat bereits vor dem Januar 2025 begonnen. Im Fall der USA, deren Gelder rund ein Drittel der weltweiten Entwicklungsgelder ausmachten, war es ein Schock für die Betroffenen, dass diese Gelder abrupt eingefroren wurden.  Kein anderes Geberland kann solche Beträge kompensieren, vor allem nicht über Nacht. Persönlich bin ich sehr beunruhigt über das Wegbrechen von Werten und Regelwerken sowie der Uno-Charta. Das kann man nicht einfach so mit Millionen wieder wett machen. Es macht etwas mit dem ganzen System, das über Jahrzehnte aufgebaut wurde. Über dieses raue Klima wird jedoch wenig gesprochen.

Wie erklären sie sich diesen Trend der sinkenden Gelder für die internationale Zusammenarbeit?

Der Krieg in der Ukraine – in der Nachbarschaft vieler Geberländer – hat die Prioritäten hin zu Militärausgaben verschoben. Gleichzeitig drohte die USA mit gekürzten Beiträgen an die NATO, wenn Europa seine Beiträge nicht erhöhen würde. Fast vergessen wird bei diesen Diskussionen, dass sich Sicherheit nicht auf Militärisches reduziert: Sie beinhaltet Ernährung, Gesundheitsversorgung, ein funktionierendes Sozialsystem. Langfristige Investitionen der EZA tragen also ebenfalls zur Sicherheit bei.

Welche konkreten Auswirkungen hat der Rückgang der Gelder bereits heute?

Die USA finanzierte letztes Jahr die Hälfte der humanitären Ausgaben weltweit. Hier waren die Auswirkungen sofort zu sehen: Geflüchtete erhielten kleinere oder keine Rationen mehr, es gab weniger Verteilungen, Gesundheitszentren mussten schliessen. Besonders betroffen sind Länder, die medial wenig Beachtung finden: vor allem auf dem afrikanischen Kontinent. aber auch derer Jemen und Afghanistan gehören dazu. Orte, zu denen Frau und Herr Schweizer wenig direkten Bezug haben. Auch längerfristig hat das gravierende Konsequenzen: Gesundheitssysteme werden stark eingeschränkt, viele Aids-Bekämpfungsprogramme wurden bereits gestoppt, Impfungen nicht mehr durchgeführt und Klimaambitionen fallen gelassen.

Zum Beispiel in Moçambique haben die Kürzungen bei der internationalen Zusammenarbeit bereits zu massiven Einschränkungen der Unterstützung geführt.

Erwarten Sie, dass sich nun auch die Ungleichheit global weiter verschärft?

Ja, und zwar nicht nur die Ungleichheit zwischen Regionen, sondern auch innerhalb von Ländern. Wir sind nicht mehr auf Kurs bei der Agenda 2030, es gibt seit der Covid-Pandemie Rückschritte. Mehr Krieg und Vertriebene, eine instabile Wirtschaft – dafür bezahlen die am wenigsten Privilegierten den höchsten Preis.

Das Parlament hat das Armeebudget auf Kosten der Entwicklungshilfegelder erhöht. Was bedeutet der Rückgang der EZA-Gelder für die humanitäre Tradition der Schweiz?

Es blieb nicht bei den im Sommer diskutierten 500 Millionen pro Jahr, die in den ersten parlamentarischen Kürzungsdebatten angekündigt wurden. im Budget 2025 wurden 110 Millionen gekürzt. Ähnliche Kürzungen sind im Finanzplan 2026–2028 vorgesehen. Aber ich mache mir keine Illusionen: Die Diskussion kann dieses Jahr wieder aufflammen. Trotzdem ist es gut, dass wir diesen strategischen Rahmen für unsere IZA erhalten haben. Dieser beträgt über vier Jahre rund elf Milliarden.
Bezüglich der humanitären Tradition der Schweiz habe ich auch von den betroffenen Ländern wenig Kritik gehört, sie standen unter dem Schock der viel grösseren und abrupteren US-Kürzungen. Unter die Lupe genommen wird unser Einsatz für das Völkerrecht, für die Agenda 2030, für die Uno-Charta.

«Wir sind nicht mehr auf Kurs bei der Agenda 2030, es gibt seit der Covid-Pandemie Rückschritte. Mehr Krieg und Vertriebene, eine instabile Wirtschaft – dafür bezahlen die am wenigsten Privilegierten den höchsten Preis.»

Und wie sehen Sie das persönlich?

Als Depositarstaat der Genfer Konventionen können wir das Internationale Völkerrecht immer wieder in Erinnerung rufen. Das Internationale Genf hat auch eine privilegierte Stellung als Stadt wo die Herausforderungen von kompetenten Akteur*innen diskutiert wird. Die Finanzierung der IZA ist ein wesentlicher Aspekt, wichtig ist auch, wie wir uns gegenüber den verschiedenen Herausforderungen positionieren.

Was wünschen Sie sich vom Schweizer Parlament?

Stolz zu sein auf die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz mit ihrer Expertise und ihren Instrumenten, die auch im Vergleich zu anderen Ländern herausragend sind. Die EZA ist auch eine Visitenkarte der Schweiz. Konstruktive Kritik ist immer willkommen. Oft fühlt es sich jedoch an, als würden wir auf der Anklagebank sitzen für die Arbeit, die wir im Namen der Schweiz in einem sehr schwierigen Umfeld leisten.

Sicherheit ist vielen Menschen ein grosses Bedürfnis. Wie sehen sie hier die Rolle der internationalen Zusammenarbeit?

Sicherheit gibt es mit Stabilität und Frieden. Die IZA trägt dazu bei. Mit der Friedensförderung, der Prävention und Verhinderung von Klimakatastrophen, mit der Arbeit zu Ernährungssicherheit. Sie fördert eine faire Landwirtschaft, die Armut reduziert, den Aufbau von Gesundheitssystemen und eines verantwortungsvollem Wassermanagements. Und sie leistet Nothilfe.

«Sicherheit reduziert sich nicht auf Militärisches: Sie beinhaltet Ernährung, Gesundheitsversorgung, ein funktionierendes Sozialsystem. Langfristige Investitionen der EZA tragen also ebenfalls zur Sicherheit bei.»

Welche Rolle wünschen Sie sich künftig für die Schweizer Entwicklungsorganisationen?

Sie sollen noch konsequenter auf lokale Akteur*innen setzen. Wir müssen uns fragen: Was ist wirklich wichtig und wer kann das am besten umsetzen? Das ist nicht nur nachhaltig, sondern kostet auch weniger.

Demokratien sind weltweit unter Druck, umso wichtiger wird die Stärkung der Zivilgesellschaft. Welchen Beitrag leistet die IZA in diesem Bereich?

Sie trägt zu guter Regierungsführung und Korruptionsbekämpfung bei, das ist häufig nicht so sichtbar. Wahlen allein sind keine Garantie für eine funktionierende Demokratie. In diesem Bereich ist die Arbeit nie abgeschlossen, wir müssen immer dranbleiben, ähnlich wie bei der Gendergerechtigkeit. Dabei ist wichtig, dass wir Partner*innen gut unterstützen und nicht der Repression aussetzen, denn wir können sie nicht immer schützen.

Kann die aktuelle Krise der IZA auch eine Chance darstellen, überholte Strukturen zu überdenken und Abhängigkeiten zu reduzieren?

Der Leidensdruck ist nun so hoch, dass Reformen, auf die sich die internationale Gemeinschaft bereits geeinigt hat, jetzt umgesetzt werden müssen, das heisst: gewisse Services zusammenzulegen, die Effizienz zu steigern und sich auf die Kernmandate zu fokussieren. Es ist nicht unbedingt schlecht, wenn ein Land beispielsweise die Bekämpfung von Aids selbst an die Hand nehmen muss und Prioritäten umlagert, weil die externen Gelder wegfallen. Aber all das braucht eine Vorlaufzeit, auch im Aufbau von nationalen Kompetenzen.
Es ist auch eine Chance, das auf einem westlichen Modell basierte System der Entwicklungszusammenarbeit zu überdenken und Vorgehensweisen anderer Länder bei einer Neuausrichtung von Anfang an mit einzubeziehen. Dabei müssen wir ein wachsames Auge auf die Einhaltung der Menschenrechte behalten.

Denken Sie, dass in dieser finanziell und politisch angespannten Situation die Chancen wirklich positiv genutzt werden können?

Es gibt keine Garantie, dass es nach unseren Vorstellungen verläuft. Aber Verbesserungen sind möglich. Die Schweiz kann hier eine positive Rolle spielen. Sie wird in der Uno gehört, auch wenn die Interessen von grossen Staaten mehr zählen.

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