Was ist ein Existenzlohn?

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In einem neuen Abkommen definiert die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) zum ersten Mal, was ein Existenzlohn («Living Wage») ist. Ein wichtiges Bekenntnis zum Recht von Arbeiter*innen auf einen Lohn, der zum Leben reicht.

Die Bezahlung eines existenzsichernden Lohnes ist nicht nur eine Grundvoraussetzung für würdige Arbeitsbedingungen, sondern ein Menschenrecht. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte hält in Artikel 23 fest: «Jeder Mensch, der arbeitet, hat das Recht auf gerechte und befriedigende Entlohnung, die ihm und der eigenen Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert». Die Realität sieht jedoch für Millionen von arbeitenden Menschen ganz anders aus: Die UN schätzt, dass 689 Millionen arbeitende Menschen unter der Armutsgrenze leben und weniger als 2 US-Dollar pro Tag verdienen. Lediglich 19 Länder haben einen Mindestlohn, der die Lebenskosten zu decken vermag.  

In einem neuen Abkommen hält die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) nun zum ersten Mal fest, was unter einem Existenzlohn («Living Wage») zu verstehen ist: Nämlich «das erforderliche Lohnniveau, um Arbeitnehmer*innen und ihren Familien einen angemessenen Lebensstandard zu sichern, unter Berücksichtigung landesspezifischer Gegebenheiten und berechnet für die geleistete Arbeit innerhalb der regulären Arbeitszeit». Gerade letzteres ist wichtig: Ein existenzsichernder Lohn darf nicht an die Leistung massiver Überstunden gebunden sein. Heute ist dies für Millionen von Arbeiter*innen, sei es in asiatischen Elektronikfabriken oder in kambodschanischen Textilfabriken bitterer Alltag.   

Sozialer Dialog und evidenzbasierte Methoden 

Bei der Berechnung der Höhe des Existenzlohnes sind gemäss der ILO verschiedene Prinzipien zu berücksichtigen:  

  • Verwendung von evidenzbasierten Methoden und zuverlässigen, transparenten und öffentlich zugänglichen Datenquellen 
  • Konsultation der Sozialpartner  
  • Regelmässige Anpassungen, um die Veränderung der Lebenskosten zu berücksichtigen 

Aus Sicht der ILO ist ein funktionierender Dialog zwischen der Regierung und den Sozialpartnern eine zentrale Voraussetzung, um die Bezahlung eines Existenzlohns zu verwirklichen. Um dies zu fördern, plant sie auch selbst zahlreiche Massnahmen zu ergreifen. 

Kämpfen für bessere Löhne – ein Kern der Arbeit von Solidar Suisse  

Zwar ändert das Abkommen allein weder die Löhne noch die Tatsache, dass – gerade in vielen Ländern, in denen Solidar Suisse tätig ist – ein Dialog auf Augenhöhe zwischen Gewerkschaften, Arbeitgebern und der Regierung nicht gegeben ist. Jedoch ist es ein starkes Bekenntnis der wichtigsten internationalen Institution für Arbeitsfragen dafür, dass Arbeiter*innen mehr als nur einen Mindestlohn brauchen – sondern einen Lohn, der zum Leben reicht. Einen Existenzlohn. Dies ist es ein entscheidender – wenn auch vorerst symbolischer – Fortschritt.  

Der Kampf für bessere Löhne ist ein Kernelement der Arbeit von Solidar Suisse: Sei dies in Kambodscha, wo wir Textilarbeiter*innen stärken, um ihre Verhandlungsmacht bei Lohnverhandlungen zu verbessern; in Südafrika, wo wir Temporärarbeiter*innen beraten, um gegen Lohndumping vorzugehen oder in Südostasien, wo wir informelle Arbeiter*innen in der boomenden Gig-Economy unterstützen, um sich zu organisieren. Das Abkommen der ILO ist somit auch für die Arbeit von Solidar Suisse und unserer Partner ein wichtiges Signal – denn existenzsichernde Löhne sind eine Grundvoraussetzung für die Bekämpfung extremer Ungleichheit. 

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